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Impuls zum 6. Februar 2022

Zum 5. Sonntag im Jahreskreis

Von Klaus Hagedorn (Oldenburg), Geistlicher Beirat pax christi - Deutsche Sektion e.V.

„Credo Ecclesiam“ in einer verfangenen Kirche mit verlorener Glaubwürdigkeit

Ein Wort vorneweg
Schon wieder in den vergangenen Tagen die Konfrontation mit tiefen Abgründen, die mich mit Scham erfüllen. „Das große Schiff des traditionellen Christentums von gestern sinkt zu Grunde, und wir sollten die Zeit nicht damit verlieren, die Liegestühle auf der Titanic hin und her zu schieben. Wenn jemand denkt, dass die jetzigen Stürme rund um den sexuellen Missbrauch vorübergehen und alles wieder so sein wird, wie es vorher war, der täuscht sich.“ (Tomas Halik, in: HerKorr 73/2019/ H. 8, 26) Wir erleben eine Zeitenwende. Die Kirche erodiert. Sie ist an einem toten Punkt angelangt. Vertrauen ist weggebrochen. Immer neue Enthüllungen von Missbrauch und Vertuschung – bis in die höchsten Kirchenetagen. Wir verstehen immer mehr, was Missbrauch anrichtet – für ein Menschenleben lang. Und die sich wiederholenden Feststellungen in den Gutachten lauten: Die Institution ist wichtiger als die Opfer; die Vermeidung des Skandals ist wichtiger als die Hilfe für die missbrauchten Menschen. Nüchtern betrachtet sind wir im freien Fall. Viele sind so sehr erschüttert, dass sie austreten. Andere entscheiden, gerade jetzt zu bleiben, um etwas zu verändern – so z.B. viele auf der 3. Synodalversammlung, die an diesem Wochenende in Frankfurt 13 sog. Reform-Papiere zu den vier zentralen Themen Sexualmoral, Rolle der Frauen, priesterliches Leben und Macht zu verabschieden haben – hoffentlich mit den notwendigen doppelten Zweidrittel-Mehrheiten.

Ich höre oft, dass Leute sagen: „Mein Glaube an die Kirche ist zerbrochen“. Ich nehme das sehr ernst, aber ich versuche zu erklären: Einen Glauben „AN die Kirche“ darf und kann es nicht geben; er ist nicht mit unserem Glaubensbekenntnis vereinbar; er wäre auch eine Häresie. Ich will begründen und erinnern – und vielleicht kann es eine Hilfestellung zu einer neuen Standortfindung sein. 

Die Kirche ist nicht Gott. Sie ist nie und nimmer Ziel des Glaubens. Diese ganz einfache Wahrheit hilft mir, die Kirche so zu sehen, wie sie ist: sie ist menschlich, vorläufig, schuldbeladen, sie hat viel Dreck am Stecken – nicht erst jetzt, schon immer; und deshalb ist sie eine „ecclesia semper reformanda“, wie das II. Vatikanische Konzil sagt, also eine Kirche, die notwendig in einem Prozess der Reform zu stehen hat und die Menschen braucht, die sie reformieren. 

Für mich ist die Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden unerlässlich. Was wäre ich ohne die Menschen, die vor mir geglaubt haben und mit mir glauben?  Ich wäre nicht der, der ich heute bin und sein möchte. Ich wäre nie so herausgefordert worden, mich mit der Botschaft Jesu, seiner befreienden guten Nachricht auseinanderzusetzen. Ich möchte die Kirche mit den vielen für mich wertvollen Menschen in ihr -weltweit-, mit dem Reichtum ihrer spirituellen Tradition nicht missen. 

Aber sie, die Kirche, ist nicht das Ziel des Glaubens; sie ist nicht Gott. Das Credo, das Große Glaubensbekenntnis, bringt diese Erkenntnis seit dem Konzil von Chalcedon im Jahre 451 ins Wort: Das Credo macht im lateinischen Urtext einen sehr wichtigen Unterschied. Dort heißt es: „Credo in unum Deum…  Credo in Jesum Christum…  Credo in Spiritum sanctum“ – also:  Ich glaube an Gott, an Jesus Christus, an den Heiligen Geist; d.h. ich lege mein Leben in Gottes Hand… ich vertraue… ich verbünde mich mit Jesus dem Christus und seinem Lebensprogramm der Liebe und Gewaltfreiheit und allem Zuvor- und Entgegenkommen allen Menschen gegenüber… ich setze auf den Heiligen Geist, der mich auf dem Weg der Liebe und Solidarität hält… mich in Bewegung bringt und inspiriert…. und mich mit anderen zusammenbringt und zusammenhält...

Dagegen heißt es bzgl. „Kirche“ im Glaubensbekenntnis nur: „Credo ecclesiam“, also „credo“ ohne diese kleine lateinische Präposition „in“. Beim Sprechen immer mit zu bedenken ist: „Ich glaube die Kirche als Mittel, als Instrument, als Weg zum Glauben an Gott, an Jesus den Christus, an den Heiligen Geist. Ich glaube also nicht „an“ die Kirche (im Sinne eines Credo in…). Christ:innen bekennen sich zur Kirche trotz ihrer Fehler und Mängel. Die Kirche ist nicht das Ziel des Glaubens. Weil der Geist Jesu in ihr aber immer wieder zur treibenden Kraft wird – so glauben wir –, ist die Kirche kein beliebiger Interessenverband – andernfalls hätten viele, die in ihr einen Dienst tun, sie längst zugrunde gerichtet. Beim Blick in die Kirchengeschichte gibt es so viel Deformation, so viel Dekadenz und Missbrauch und tote Punkte – nicht erst heute. 

Ich sage mir oft: Ich bin als Christ nicht bestimmter Menschen wegen in der Kirche, sondern Gottes wegen. Er ist ein Gott, der Leben will und dies in Fülle für alle (Joh 10,10). Und darum kann ich mich um Gottes Willen nicht von der Kirche verabschieden, weil in ihr Menschen sich derart verfehlen. Sondern ich habe das Augenmerk auf geschlagenen Wunden zu richten, auf das Aufdecken, auf Heilung und Veränderung, auf Frieden und Gerechtigkeit und Versöhnung. Und das beinhaltet die Reform des Denkens in der Kirche und ihrer Strukturen. Die Frohe Botschaft Jesu darf nicht unter die Räder kommen. 

Ein Lied-Wort
Hoffen wider alle Hoffnung, glauben, dass es dennoch weitergeht. Lieben, wo es beinah nicht mehr möglich, damit die Welt auch morgen noch besteht.
Fühlen, wo Gefühle sterben, Licht sehn da, wo alles dunkel scheint. Handeln anstatt tatenlos zu trauern, trösten auch den, der ohne Tränen weint. 
Wach sein, Zeichen klar erkennen, helfen trotz der eignen großen Not. Aufstehn gegen Unrecht, Mord und Lüge, nicht einfach schweigen, wo die Welt bedroht.
Trauen dem, der uns gesagt hat: „Seht doch, ich bin bei euch alle Zeit.“ Mit uns ist er auch in unserm Suchen, bis wir ihn schaun im Licht der Ewigkeit

Ein Bibel-Wort aus Lukas 1, 68-79
Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels!
Denn er hat sein Volk besucht
und ihm Erlösung geschaffen;
er hat uns einen starken Retter erweckt
im Hause seines Knechtes David.
So hat er verheißen von alters her
durch den Mund seiner heiligen Propheten.
Er hat uns errettet vor unsern Feinden
und aus der Hand aller, die uns hassen;
er hat das Erbarmen mit den Vätern
an uns vollendet
und an seinen heiligen Bund gedacht,
an den Eid,
den er unserm Vater Abraham geschworen hat;
er hat uns geschenkt,
dass wir, aus Feindeshand befreit,
ihm furchtlos dienen
in Heiligkeit und Gerechtigkeit
vor seinem Angesicht all unsre Tage.
Und du, Kind,
wirst Prophet des Höchsten heißen;
denn du wirst dem Herrn vorangehn
und ihm den Weg bereiten.
Du wirst sein Volk
mit der Erfahrung des Heils beschenken
in der Vergebung der Sünden.
Durch die barmherzige Liebe unseres Gottes
wird uns besuchen
das aufstrahlende Licht aus der Höhe,
um allen zu leuchten, die in Finsternis sitzen
und im Schatten des Todes
und unsre Schritte zu lenken
auf den Weg des Friedens.

Ein DELP-Wort 
Es gibt Sätze, die trage ich schon lange mit mir herum. Einige dieser Sätze stammen aus der Feder des Jesuiten Alfred Delp (1907-1945). Sie beschäftigen sich mit der Glaubwürdigkeit des Christentums und der Zukunft der Kirche. Dieser leidenschaftliche Kämpfer wählt im sog. 3. Reich den Weg in den Widerstand; er will dem Treiben der Nazis nicht zusehen. Delp wird verhaftet, verhört, gefoltert und am 2. Februar 1945, also vor 77 Jahren, hingerichtet. Tod durch den Strang. In seinem geistlichen Wort aus der Haft schreibt er über das "Schicksal der Kirchen" – ein hoch aktueller Text, der mir in unserer derzeitigen prekären Situation Wegzeichen ist. „Das Schicksal der Kirchen wird in der kommenden Zeit nicht von dem abhängen, was ihre Prälaten und führenden Instanzen an Klugheit, Gescheitheit, politischen Fähigkeiten usw. aufbringen. Auch nicht von den Positionen, die sich Menschen aus ihrer Mitte erringen konnten.“ Man kann diesen Text Delps geistliches Testament nennen. Hart geht er mit selbstverliebten Verhaltensweisen in der Kirche ins Gericht. „Auch der andere Weg der fordernden Kirche im Namen des fordernden Gottes ist kein Weg mehr … zu den kommenden Zeiten.“ Eine Kirche, die auf die vermeintlich schlechten Zeitgenoss:innen und Zeiten nur schimpfen würde und unfähig wäre zur Selbstkritik, hätte keine Zukunft mehr, meint er.

Zu schwer lastet auch das negative Erbe auf der faktischen Kirche: „Wir haben durch unsere Existenz den Menschen das Vertrauen zu uns genommen. Zweitausend Jahre Geschichte sind nicht nur Segen und Empfehlungen, sondern Last und schwere Hemmung. Und gerade in den letzten Zeiten hat ein müde gewordener Mensch in der Kirche auch nur den müde gewordenen Menschen gefunden. Der dann noch die Unehrlichkeit beging, seine Müdigkeit hinter frommen Worten und Gebärden zu tarnen. Eine kommende ehrliche Kultur- und Geistesgeschichte wird bittere Kapitel zu schreiben haben…“ 

Delps letzte Nachricht aus dem Nazi-Gefängnis lautet kurz: „Beten und glauben. Danke.“ Gerade aus dem Gebet und einer entschiedenen Christusnachfolge gewinnt Delp die Kraft, höchst selbstkritisch auf die Kirche seiner (und unserer) Zeit zu schauen. Für Delp hängt die Zukunft der Kirche entscheidend von der „Rückkehr der Kirchen in die Diakonie“ ab, in den Dienst der Menschheit – und zwar „in einen Dienst, den die Not der Menschheit bestimmt, nicht unser Geschmack oder unsere frommen Gewohnheiten“. Und wieder fügt er unerbittlich selbstkritisch hinzu: „Man muss nur die verschiedenen Realitäten kirchlicher Existenz einmal unter dieses Gesetz rufen und an dieser Aussage messen, und man weiß eigentlich genug. Es wird kein Mensch an die Botschaft vom Heil und vom Heiland glauben, solange wir uns nicht blutig geschunden haben im Dienste des physisch, psychisch, sozial, wirtschaftlich, sittlich oder sonst wie kranken Menschen.“

Delp selbst ist Realist genug, um nach solcher Diagnose auch nach der Therapie zu fragen: „Aber wie dahin kommen?“ Und er antwortet: „Ich glaube, überall, wo wir uns nicht freiwillig um des Lebens willen von der (kirchlich gewohnten) Lebensweise trennen, wird die geschehende Geschichte uns als richtender und zerstörender Blitz treffen… Wir sind trotz aller Richtigkeit und Rechtgläubigkeit an einem toten Punkt. Die christliche Idee ist keine der führenden und gestaltenden Ideen dieses Jahrhunderts. Immer noch liegt der ausgeplünderte Mensch am Wege. Soll der Fremdling ihn noch einmal aufheben?“ 

Delp plädiert sehr entschieden für eine samaritanische Wende, für eine radikale Umkehr hin zum leidenden Mitmenschen – und von ihm her. Die Not der Menschen: Sie ist das Nervenzentrum des Gottesglaubens, nicht die innerkirchlichen Gewohnheiten. Hier sind vor 77 Jahren Umkehr-Anforderungen mit für mich verblüffender Aktualität ins Wort gebracht. Sie sind mir Leitfaden und beschreiben den Dreh- und Angelpunkt, dessen, was ansteht.

Ein Stille-Wort
Psalm 62
Wir wundern uns – Zu Gott hin wird still meine Seele 
Manchmal wundern wir uns selbst, dass wir noch da sind:
Menschen, die in der Sache Kirche noch einen Sinn sehen,
Menschen, die noch Fragen an den Verein Kirche stellen
und sinnvolle Antworten für möglich halten,
Menschen, die in der Kirche einen Ort möglicher Öffnung
nach oben und in die Tiefe sehen,
Menschen, die um Jesu willen die Kirche kritisch lieben. 
Ja, manchmal wundern wir uns selbst, dass wir noch da sind,
obwohl viele die Kirche für eine absterbende Institution halten,
die nicht im Gestern, sondern im Vorgestern lebt,
obwohl viele die Kirche nur noch mit mildem Spott bedenken,
obwohl viele die Kirche einfach nicht mehr kratzt. 
Ja, manchmal wundern wir uns selbst, dass wir noch da sind,
und dass wir glauben an einen Gott, der befreit,
aus Mutlosigkeit und Resignation,
aus Unsicherheit und Verzweiflung,
aus Einsamkeit und Verlorenheit.
Dir, Gott, singen wir ein verhaltenes Lob. 

In: Diethard Zils, Trotz und Träume, hrsg.v. Frano Prcela, Leipzig 2015, 28

 

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